Rainer/Myrleans/Matthias Fan-Fiction

Folge 9 (Rainer)

E-MAIL: Rainer - Hamburg

„Bastian oder Herr Bux, oder wie auch immer du genannt werden möchtest. Bitte entschuldige die Unannehmlichkeiten, die du durch uns hattest. Geh, wohin du willst! Wenn du Hunger hast, kannst du auch gerne mit uns essen und erstmal unser Gast sein.“ Alle sahen ihn an. Bastian war verblüfft. Das sich das Blatt auf diese Weise wenden würde, hätte er nicht gedacht. Doch so einfach konnte er seine Wut nicht herunterschlucken. Die Szene, wo die fünf ihn niedergerungen und gefesselt hatten, konnte er nicht vergessen. „Nennt mich einfach Bastian.“ war sein Angebot „Aber Hunger habe ich schon. Wenn ihr mich mit euch essen lasst, wäre das echt nett.“ Das war eine gewaltige Untertreibung. Bastians Hunger war inzwischen so groß, das er ihn fast willenlos machte. Lange konnte er sich nicht mehr auf den Beinen halten. Die Aussicht auf etwas zu essen, egal was es war, machte ihn gefügig. Bastian sprang vom Pferderücken. Er hatte so viele Fragen. Aber alles würde seine Zeit brauchen. Zunächst hoffte er, etwas mehr über die Gruppe herauszufinden. Es stellte sich heraus, das noch ein Mädchen dazugehörte. Sie und der Junge, der Bastian erkannte, hatten ein paar Fische gefangen, die sie gerade ausnehmen wollten, als die Reiter mit Bastian ankamen. Es waren insgesamt acht. Und Bastian kannte gerade mal zwei ihrer Namen. Den von Leo, dem Jüngsten von ihnen. Und den von Dirk, der mit den raspelkurzen Haaren. Dirk schien etwas maulig und abweisend zu sein. Er machte keine Bemerkungen, hielt sich bei allen Sprüchen zurück und sagte kaum ein Wort. Dafür hatte er kein Problem damit, den drei Kaninchen das Fell über die Ohren zu ziehen und sie auszunehmen. Die Innereien warf er dem Hund hin, der sich sofort gierig darüber hermachte. Dirk tat alles ohne mit der Wimper zu zucken. Er hatte das wohl schon öfter gemacht. Inzwischen hatte es jemand anders geschafft das Feuer wieder anzuzünden. Da niemand Streichhölzer oder ein Feuerzeug besaß, geschah dies mit der ‚Steinzeitmethode‘. Weil sich keiner um Bastian kümmerte und alle anderen beschäftigt waren, setzte er sich etwas abseits hin. Er wusste nicht so recht ob er seine Hilfe anbieten sollte – und vor allem wem? Zudem stellte er etwas besorgt fest, das die Jagdbeute eigentlich gerade mal für acht reichen würde. Mit ihm als Neunten würde es knapp werden. Er hatte Angst, das es ihm irgendeiner übelnehmen könnte, das er die Einladung des Anführers, die dieser wohl eher aus Höflichkeit ausgesprochen hatte, annahm. Die Gruppe begann sich um die Feuerstelle zu versammeln. Während sich die Kinder dort unterhielten und neckten, saß Bastian immer noch abseits und wusste nicht so recht, wie er sich verhalten sollte. Ab und zu drang der Klang herzlichen Lachens zu ihm herüber. Die Stimmung war wohl ziemlich gelöst und locker, da drüben am Feuer. Plötzlich erstarb die angeregte Unterhaltung. Bastian sah zu den Kindern hinüber. Er merkte, das sie sich über ihn unterhielten, denn sie sahen in seine Richtung und deuteten mehrmals mit dem Kopf auf ihn. Schließlich stand eines der Mädchen auf und kam auf Bastian zu.

„Willst du gar nicht rüberkommen und dich bei uns hinsetzen?“ fragte sie freundlich.

„Meinetwegen.“ brummte Bastian und erhob sich.

„Allzu großes Selbstvertrauen scheinst du ja  nicht zu haben.“ bemerkte sie lakonisch. Bastian zuckte. So etwas aus dem Munde eines so jungen und fremden Menschen zu hören, das stach ihn schon ein wenig. Aber er nahm es unwidersprochen hin. Seine Fähigkeit auf andere Menschen zuzugehen, war seit einiger Zeit wirklich etwas angeschlagen.

Bastian setzte sich zu der Gruppe, die alle Gespräche eingestellt hatte. Er spürte die neugierigen Blicke und wurde verlegen. Bastian stierte ins Feuer. Er mochte die anderen nicht ansehen.

„Der Retter...“ sagte plötzlich einer leise. Kurzes Schmunzeln setzte ein. Bastian hatte mitbekommen, wer das gesagt hatte und blickte dem Jungen fest in die Augen. Er stellte fest, das keine Boshaftigkeit darin lag, sondern wahre Neugier. So ergriff Bastian seine Chance. Während sich die beiden mit ihren Blicken fixierten, fragte er:

„Was wisst ihr denn sonst noch über mich?“ Das Getuschel und Gefeixe nahm wieder zu, bis plötzlich einer von den Älteren laut „Schnauze, Ruhe!“ sagte. Als endlich Stille eintrat, fuhr er fort. „Bastian Balthasar Bux, Schriftsteller und Drehbuchautor. Wurde früher von seinen Klassen-kameraden gerne geärgert und straft sie dafür heute mit Mißachtung. Besaß schon immer eine blühende Phantasie und verhinderte vor langer Zeit als einziges Menschenkind den Untergang von Phantásien. Und so weiter. Es gibt unzählige Legenden über dich und es gibt niemanden, der sie NICHT kennt.“ Das klang ja interessant.

„Und was erzählen die Legenden sonst noch?“ fragte Bastian.

„Es wird behauptet, das du einen kleinen Dachschaden hast, deswegen eine schwere Medizin bekommst, die sich auf deine Psyche auswirkt. Deshalb glaubt hier eigentlich keiner, das du nochmal zurück kommst. Aber irgendwie hast du das ja nun doch geschafft.“

„Ich nehm‘ das Zeug nicht mehr.“ musste Bastian anmerken. „Was seid ihr nun eigentlich? Phantásier oder Menschen?“

„Na, was glaubst du denn? Rate doch mal.“

„Ihr seid Menschen, oder?“

„Und woran hast du das erkannt?“

„An euren Namen.“

„Was? An mehr nicht? Dann hast du wirklich nur geraten.“

„Wieso das denn?“

„Es ist nicht so einfach herauszufinden, ob hier jemand Mensch oder Phantasiewesen ist. Aber angeblich haben ein paar Tiere die Gabe Menschen zu erkennen. Davon haben wir selber aber noch nichts mitbekommen.“

„Wer seid ihr nun überhaupt? Wo kommt ihr eigentlich her? Könnt ihr euch nicht mal kurz vorstellen?“ Diese Fragen interessierten Bastian am meisten.

„Naja, eigentlich könnten wir das schon tun.“ begann die Gruppe etwas zögerlich.

„Man nennt uns die Kindlichen Jäger. Wir leben schon immer hier, jedenfalls kann sich keiner von uns erinnern, das es einmal anders war.“

„Ihn kennst du ja schon.“ sagte einer und deutete auf Leo.

„Eigentlich heiße ich Leopold.“ merkte Leo etwas verlegen an.

„Und du bist Dirk?“ fragte Bastian. Der Angesprochene nickte mit säuerlichem Gesichtsausdruck.

„Das ist normal bei ihm,“ merkte ein anderer an, der sich später mit ‚Noah‘ vorstellte „da brauchst du dir nichts bei zu denken. Dirk ist unser introvertierter Bastler und Spezialist für psychoaktive Substanzen.“ Worauf der Erwähnte kurz grinste und „Schnauze!“ sagte. Der Junge, von dem Bastian glaubte es wäre der Anführer, trug den Namen Pascal. Der Reiter vom Anfang, den Bastian als erstes gesehen hatte hieß Ibo. Der sechste trug den Namen Samir und war Bastian bis jetzt nur durch seine Sticheleien aufgefallen. Dann stellten sich die beiden Mädchen vor. Dinka war mit der Gruppe, der Bastian begegnet war, auf der Jadg gewesen. Sie war von der Sorte, von der manche Jungs scherzhaft behaupten, sie hätte Haare auf den Zähnen. Jedenfalls machte sie einen kräftigen, muskulösen Eindruck. Anders, als die fast zart wirkende Annika, der Bastian aber eine höhere Intelligenz unterstellte. Und soeben ertappte sich Bastian dabei, vom Aussehen auf die inneren Werte zu schließen. Jedenfalls war Annika ausgesprochen wohlproportioniert in Bastians Augen und er fühlte sich ein wenig zu ihr hingezogen.

Nun hatte er alle ihre Namen gehört. Was ihn noch wunderte: Alle Acht hatten ebenfalls keine Erinnerung daran, wie lange sie schon zusammen waren. Bastian schenkte dem aber vorerst keine Beachtung.

Endlich gab es was zu Essen. Ein Fisch war schon soweit. Ihm war es peinlich, das ihm der erste Bissen angeboten wurde. Doch der Fisch war noch so heiß, das man ihn unmöglich zerteilen und in der Hand halten konnte. So nahm Bastian den Spieß und fing an zu knabbern. Von der Größe hätte es eine Forelle sein können. Aber in Phantásien hieß alles anders. Und was in der Menschenwelt gut schmeckte, schmeckte hier manchmal wie Dreck und war giftig und umgekehrt. Aber das Fischfleich schmeckte wunderbar. Nach zwei Tagen bekam Bastian endlich wieder etwas Warmes zwischen die Zähne. Er bemerkte nicht, das er schon den ganzen Fisch aufgegessen hatte, als ihn sein Nachbar fragte, ob er ihm auch mal was abgeben könnte. Da er nicht wusste, wie das auf die anderen wirken musste, hielt er sich im weiteren Verlauf des Essens zurück. Die Kaninchen brauchten sehr lange um über dem Feuer gar zu werden. In der Zwischenzeit nahm Bastian die Unterhaltung wieder auf. Diesmal fragte er Pascal.

„Was hat es denn eigentlich mit der ‚Schlucht ohne Wiederkehr‘ auf sich? Wolltet ihr mich da reinwerfen?“ Pascal antwortete mit einer Gegenfrage:

„Du möchtest gerne wissen, warum wir vorhin so mit dir umgegangen sind?“ Bastian nickte.

„Dazu muss ich aber ein bißchen mehr ausholen. Bastian, wie real ist für dich Phantásien?“ Der musste nur kurz überlegen.

„Phantásien ist so real, wie ein Traum, den man hat.“

„Das stimmt nicht ganz.“ sagte Pascal „Träume werden durch das Unterbewusstsein gesteuert. Jedoch was du hier erlebst, kannst du bewusst beeinflussen.“

„Aber das Einzige, was einem von den Erlebnissen hier bleibt, sind Erinnerungen.“

„Das ist richtig. Aber während du hier bist, bist du wirklich voll und ganz hier. Dich gibt es jetzt in diesem Augenblick nicht in der Menschenwelt. Und was das interessanteste ist: Wenn das hier nicht gerade jemand lesen würde, dann würde mit dir hier gar nichts passieren.“ ‚Wie, gar nichts?‘ dachte Bastian. Und plötzlich fiel ihm dunkel ein Satz aus grauer Vorzeit ein. ‚Er teilt unsere Abenteuer, während andere seines teilen.‘

„Aber woher weißt du das so genau?“ fragte Bastian.

„Bastian, ich kann doch lesen. Und ich mache mir meine Gedanken. So ganz begriffen habe ich es auch nicht. Aber es soll angeblich so sein. Ich habe es gehört. Bloß darum geht es jetzt gar nicht. Ich glaube, ich muss anders fragen. Woran meinst du zu erkennen, das wir Menschen sind? Du sagst, an unseren Namen. Aber normalerweise weiß dein Gegenüber deinen Namen ja gar nicht. Am Namen erkennt man keinen Phantásier. Und dann kann auch noch jeder Mensch bei seinem Entritt in die phantásische Welt seinen Namen und seine Gestalt frei wählen.“ Worauf wollte Pascal hinaus? Bastian versuchte dessen Vortrag abzukürzen.

„Also, du willst mir erzählen, das Phantásien während wir hier sind so real ist, wie als wären wir in der Menschenwelt?“

„Ja, so ungefähr ist es. Und jetzt kommen wir der Sache schon näher, die ich dir erklären will. Bastian, bist du in Phantásien schon mal von jemanden oder durch etwas getötet worden?“

„Was? Gott sei Dank zum Glück nicht!“ sagte Bastian geschockt  „Was ist das für eine Frage?“

„Das unterscheidet nämlich die Menschen von den phantásischen Wesen. Wenn ein phantásisches Geschöpf ums Leben kommt oder sonstwie stirbt, dann ist dessen Geschichte zu Ende, richtig?“

„Hhm!“ machte Bastian. Er konnte diesen philosophischen Gedankengängen nur mit viel Mühe folgen. Und es wurde noch verrückter.

„Wenn ein Menschenkind hier stirbt, dann ist dessen Geschichte natürlich auch zu Ende.“ fuhr Pascal fort „Es kehrt dadurch in die Menschenwelt zurück und einige Erinnerungen an Erlebnisse hier gehen verloren. Das ist das Geheimnis der ‚Schlucht ohne Wiederkehr‘. Menschenkinder, die in Phantásien umkommen, können übrigens wieder nach Phantásien gelangen. Nur sind sie dann nicht mehr dieselben, die sie vorher hier waren.“ endete der Anführer der kindlichen Jäger. Bastian musste schwer schlucken. Diese Schlucht war vielleicht so etwas wie ein Fluchtweg. So langsam begriff er, das sein Leben sehr wertvoll war. Nicht mehr er selbst sein zu können, hier in seiner geliebten phantásischen Welt – diesen Gedanken vermochte er nicht zu Ende zu bringen. Pascal sprach weiter. „Du wolltest wissen, warum wir dich so behandelt haben? Dann beantworte mir diese Frage: Wie weit würdest du gehen, um deine Phantasien auszuleben?“

„Naja, manche Menschen haben schon komische Phantasien.“ sagte Bastian vielsagend grinsend. Pascal schmunzelte auch. „An was du wieder denkst?!“ „Was? Schweinkram? Nee!“ meinte Bastian verlegen. „Na, das ist ja noch harmlos. Aber hast du schon mal an Mordlust und Aggression gedacht?“ Bastian dämmerte so langsam, was die kindlichen Jäger in ihrer Existenz bedrängte. „Es kamen schon immer Leute hierher, die ganz bewusst in dieser Umgebung ihre morbide Ader ausleben. Wäre ja alles nicht so schlimm, wenn nicht alle mögliche Lebewesen dabei daran glauben müssten!“ sagte Pascal und in seiner Stimme klang Wut mit.

„Sag bloß ihr seid solchen Leuten schon begegnet.“ entgegnete Bastian.

„Mehr als einmal. Das Problem sind die Wünsche, glaube ich jedenfalls. Manche Menschen wünschen sich Gegner, die sie nach Herzenslust bekämpfen und quälen können, der irgendwie wild aussieht und über den sie möglichst wenig wissen. Und dann treffen sie auf uns.“ Pascal schlug die rechte Faust in die linke, flache Hand. „Wir müssen uns ständig gegen solchen Mist wehren. Und wir haben keinen Zauber dagegen. Selbst das Auryn haben wir ewig nicht gesehen – wer weiß, vielleicht sind wir ohnehin alle verloren.“ Pascal machte eine Pause.

„Quatsch!“ sagte Bastian gedankenverloren. Er bemerkte kaum, das ihn alle erstaunt ansahen. Das Auryn! Gut, das Pascal es erwähnt hatte. Bastian hatte schon fast vergessen, das damit etwas nicht stimmte. Und die weiße Schlange, die ihn bei seiner Ankunft gewissermaßen begrüßt hatte?

„Und dann habt ihr irgendwann damit angefangen, euch fürchterlich an euren Feinden zu rächen, indem ihr sie in die Schlucht werft?“ fragte Bastian.

„Es gelang uns bald, einen unserer Angreifer zu fangen. Denn sie kommen immer allein. Wir wollten ihn langsam und mit großem Schrecken sterben lassen. Doch ihn zu Tode zu martern brachten wir nicht fertig. Und dann entdeckten wir diese abgrundtiefe Schlucht. Es gab dort keinen Weg hinein oder heraus – und wir haben lange gesucht. Wir haben ihm also die Augen verbunden, ihn hundert Meter vor der Schlucht hingestellt und ihm gesagt, wenn er in der Zeit, in der wir bis zwanzig zählen, soweit rennt, das wir ihn nicht mehr mit dem Bogen treffen, dann wäre er frei.“

Bastian schauderte. Das hätte ihm also auch geblüht. Zu so etwas waren diese Kinder also fähig. Er war wirklich schockiert und wollte darüber nichts genaueres mehr wissen. Aber eine Frage hatte er noch.

„Wann war das eigentlich, als das zum ersten Mal passiert ist?“

„Das war...“ Pascal dachte angestrengt nach „Hhm – ich erinnere mich an den Ablauf, als wäre es gestern gewesen. Aber WANN es war? - Ich weiß es nicht mehr.“ Diese Antwort befriedigte Bastian nicht. Seine Unterhaltung fand jedoch ein vorläufiges Ende, weil es wieder etwas zu Essen gab. Die Knollen, die Bastian aufgefallen waren, schienen übrigens eine Art Kartoffeln zu sein. Sie wurden in einem Kessel mit Wasser gekocht und als sie gar waren nahm sich jeder mit seinem Messer heraus, was er essen wollte und schälte sie mit den Fingern ab.

Bastian erzählte später noch von seiner eigenen Ankunft in Phantásien und der weißen Schlange, die ihm begegnet war. Er hatte jedoch das Gefühl, das ihm niemand zuhörte. Als er jedoch das Auryn erwähnte, wurde es wieder still.

„Das Auryn besteht aus zwei Schlangen.“ meldete sich der maulfaule Dirk zu Wort. So, als wollte er keinen Widerspruch daran zulassen. Doch Bastian bestand auf seiner Beobachtung.

„Wir haben das Auryn wirklich sehr lange nicht gesehen. Aber wenn wirklich eine Schlange fehlt, ist es ein sehr schlechtes Omen.“ sagte Pascal darauf. Bastian hatte keine Fragen mehr. Und es war auch nicht mehr aus der Gruppe herauszukriegen. Es war noch hell, als Bastian eine bleierne Müdigkeit überkam. So fragte er nach einem ruhigen Platz wo er sich hinlegen konnte. Annika stand auf und führte Bastian zu dem Zelt. Darin fand sich tatsächlich noch ein freier Platz, den sie ihm zum Schlafen herrichtete. Endlich konnte sich Bastian wieder richtig ausstrecken und dabei in eine Decke kuscheln. Wie schön das war. Der feine Geruch nach Leder, Rauch und Schweiß störte ihn nicht. Er hatte sich bald daran gewöhnt. Da im Zelt nur schummriges Licht herrschte dauerte es nicht lange und Bastian war erschöpft eingeschlafen. Es war ein tiefer, traumloser Schlaf. Mitten in der Nacht wachte er auf. Er wusste nicht wie lange er geschlafen hatte. Um ihn herum war es jetzt stockdunkel. Es war still geworden. Er hörte aus einigen Ecken nur das Geräusch leisen Aus- und Einatmens. Die anderen schliefen also auch. Wieviele es waren konnte er nicht heraushören. Bastian versuchte wieder einzuschlafen. Doch es ging nicht. Er hatte sich inzwischen wieder soweit erholt, das ihm alle möglichen Gedanken durch den Kopf gingen. Schließlich dämmerte er dann doch wieder weg. Später, es war bereits gegen Morgen, hatte Bastian einen Traum. Es waren nur Fragmente und einzelne Bilder, als würde er einen Comic anschauen. Die Bilder besaßen keinen Text. Ab und zu ruckte das Bild und Bastian hörte jemanden sprechen. Er versuchte auf den Bildern etwas zu erkennen, aber die klaren Linien verschwammen wenn er länger daraufsah zu einer Art unscharfen Foto. Es waren junge Menschen, sollten es Kinder sein? Der Himmel war nicht blau, sondern rot. So, als würde ständig die Sonne untergehen.

Urplötzlich wachte Bastian auf. Es dämmerte, denn es fiel wieder etwas Licht ins Zelt. Und es wurde langsam ziemlich kühl. Er verkroch sich tiefer unter seine Decke. Und ihm fiel plötzlich ein, wohin die Bilder gehörten, die er vorhin geträumt hatte. Sie gehörten tatsächlich in einen Comic, den Bastian mal geschenkt bekommen hatte. Er wusste nicht mal mehr den Titel. Aber es war irgendeine Endzeitgeschichte, jenseits einer weite Teile der Menschheit vernichtenden Katastrophe. Er erinnerte sich, das er das Buch nicht zu Ende lesen konnte. Ihm war damals irgend etwas dazwischen gekommen. Er glaubte auch, das Buch verliehen zu haben. Besaß er es überhaupt noch? War es jemals zurückgebracht worden? Er hatte es aus den Augen verloren.

Bastian tat sich in diesem Augenblick ein merkwürdiger Zusammenhang auf. Die Kinder in dem Comic hatten Ähnlichkeit mit denen, den er jetzt begegnet war. Bastian lag wach und versuchte mit geöffneten Augen das Halbdunkel zu durchbohren. Nach einer Weile Stille drehte er sich um, schloß die Augen und schlief wieder ein.

Draußen wurde es schließlich hell. Bastian wachte auf, weil eines der Kinder das Zelt verließ. Bastian sah, das es Dirk war. Auch er selbst reckte die verschlafenen Glieder und erhob sich. Er wuste nicht wie spät es war, doch die Strahlen der tiefstehenden Sonne wärmten bereits ein wenig. Er ging zum Bach um sich zu erfrischen. Die Aussicht sich wieder aussschließlich mit dem kalten Wasser zu waschen war zwar nicht angenehm, doch Bastain musste sich wohl oder übel über-winden. Nach und nach kamen auch die anderen herunter, um sich zu waschen. Einige der Kinder rannten sogar in den Bach hinein, um die, die am Ufer standen, naßzuspritzen. Der Bach war nicht sehr tief. Schwimmen konnte man jedenfalls nicht darin. Verwundert stellte Bastian fest, das Leo fehlte.

„Wo ist Leo?“ fragte Bastian.

„Welcher Leo? Wer soll das sein?“ bekam er zur Antwort. Wie konnte das sein? Leo blieb unauffindbar. Bastian war darüber sehr traurig. Ihm war Leo nicht unsympathisch. Und nun war sei neuer Freund fort. Einfach über Nacht wie vom Erdboden verschluckt. Und seine eigenen Gefährten schienen ihn noch nicht mal zu vermissen, ja sie schienen ihn nicht mal mehr zu kennen! Bastian suchte überall im Lager und stellte fest, das es nur acht Schlafplätze gab. Wenn Leo persönliche Sachen besaß, so waren diese auch fort. Nichts erinnerte mehr an Leo und außer Bastian besaß auch niemand anders Erinnnerungen an ihn. Aber auch mit Bastians Erinnerungen war etwas geschehen. Er hatte vergessen, wie er hierher gekommen war. Doch da er sich nicht mehr erinnerte, fiel es ihm auch nicht weiter auf. Seine Traurigkeit wurde von den kindlichen Jägern ignoriert. Sie konnten nicht verstehen, was Bastian bedrückte. Später wurde beratschlagt was heute zu tun sei. Schließlich brachen sechs von ihnen auf, um zu jagen. Zusammen mit den beiden Pferden und dem Hund. Annika und Bastian blieben im Lager zurück. Wenig später sagte das Mädchen:

„Ich weiß nicht, ob die genug für uns alle finden werden. Lass uns auch losgehen. Ich weiß eine Stelle wo man leicht Fische fangen kann. Kannst du eigentlich mit dem Speer umgehen?“ Bastian verneinte. „Das macht nichts, ich werde es dir zeigen.“ schlug Annika vor. So zogen sie auch los. Das Mädchen kannte sich wirklich gut aus und Bastian hatte manchmal Mühe ihr zu folgen. Schließlich kamen sie an ein anderes Gewässer, das erheblich größer und reißender war, als das Rinnsal am Lager der Kinder. Hier gab es tatsächlich Fische. Man konnte sie im flachen Wasser sehen. Aber Bastian stellte sich sehr tollpatschig an und verscheuchte die meisten, bevor er mit einer Art Lanze zustechen konnte. Ihm gelang es nicht einen Fisch zu fangen. Annika hatte mehr Glück. Sie schaffte es immerhin zwei Fische zu erbeuten. Bastian hatte bald keine rechte Lust mehr. Obwohl Annika nicht müde wurde, ihm zu erklären was er tun müsse, damit es mal klappte. Schließlich setzten sich die beiden auf die sonnenbeschienene Seite des Bachufers. Es entwickelte sich eine kleine Unterhaltung. Dabei stellte er erneut etwas fest, was ihn irgendwie beunruhigte. Doch es war mehr eine Ahnung. Er bemerkte, das Annika zwar ein großes Wissen besaß, selbst über die Menschenkinder und deren Welt. Und doch litt sie unter dem gleichen Phänomen wie der Rest der Gruppe. Für sie gab es nur das heute und die Vergangenheit. Kein Gestern und kein Morgen. Nur ein schwammiges ‚es war schon immer so‘ und ‚es wird immer so sein‘. Er hatte das Gefühl, das irgendetwas stillstand. Abgesehen davon hatte Bastian auch noch Gedanken, die sehr privater Natur waren und die er sich nicht traute auszusprechen. Ob Annika schon an einen der anderen kindlichen Jäger ‚vergeben‘ war? Nachdem sie ihre Unterhaltung beendet hatten, versuchte Bastian erneut sein Glück im Fische fangen. Er schaffte es tatsächlich einen mit der Lanze zu durchbohren. „Anfängerglück!“ kommentierte Annika Bastians Jagdglück trocken. Mit drei Fischen traten sie den Heimweg an. Unterwegs sammelten sie noch etwas Feuerholz, welches Bastian, wieder im Lager angekommen, mit Schwung neben der Feuerstelle zu Boden fallen ließ. Während Annika begann, die Fische auszunehmen, suchte Bastian noch mehr Holz zusammen. Er war gerade damit fertig und zu Annika gegangen, als plötzlich jemand laut über den Platz brüllte. Bastian kletterte die Böschung hoch und sah, das die beiden Reiter zurückgekehrt waren. Sie waren nicht allein, hinter Noah saß ein Fremder auf dem Pferd. Sie hatten Bastian bemerkt und kamen langsam auf ihn zu. Der erkannte in dem Fremden einen jungen Erwachsenen, nicht älter als einundzwanzig, dem die blanke Panik ins Gesicht geschrieben stand.

„Oh!“ kam Bastian ein Ausruf des Erstaunens über die Lippen und er fragte „Wieso habt ihr ihn gefesselt?“

„Weil es ein Arschloch ist!“ entgegnete Ibo. Irgendwie kam Bastian die Szene bekannt vor. Er hatte aber wieder nur eine dumpfe Ahnung. Denn er hatte ja längst vergessen, das er gestern selbst auf diese Weise ins Lager gekommen war. „Er hält sich für einen großen Zauberlehrling.“ ergänzte Ibo.

„Was seid ihr eigentlich, die heilige Inquisition?“ fragte der Fremde plötzlich. Bastian betrachtete ihn genauer. Der Femde hatte ein ehrliches Gesicht. Bastian empfand ihn nicht als Bedrohung und hatte im Grunde Mitleid mit ihm. Er wusste nicht was er tun sollte. Mittlerweile kamen auch die anderen zurück.

„Wieso habt ihr ihn hergebracht? Was wollt ihr überhaupt mit ihm?“ fragte Bastian ratlos.

„Na was wohl! Wir schicken ihn in die Menschenwelt zurück. Wie alle, die lügen, oder nicht wissen was sie eigentlich hier wollen.“ Die Meute drehte sich um und einer griff das Pferd, auf dem der Femde saß, am Zügel.

„Halt! Stop!“ schrie Bastian. Ihm dämmerte in diesem Moment, das die Kinder mit ihrem Opfer zur ‚Schlucht ohne Wiederkehr‘ wollten. Doch plötzlich schoß ihm eine Erinnerung durch den Kopf, die er noch nicht vergessen hatte.

„Bist du der weißen Schlange begegnet?“ wollte Bastian wissen.

„Ja, wieso?“ antwortete der Fremde. Damit war klar, er war auch ein Menschenkind. Genau wie Bastian, war er sich jedenfalls sicher.

„Was ist dir passiert? Hat sie dich auch mit Gift bespuckt?“ fragte Bastian. Dem Fremden war die Fragerei unangenehm. Er wusste nicht, was demnächst mit ihm passieren würde. Da er ständig mit dem schlimmsten rechnete, hatte er eine eine wahnsinnige Angst, die ihn mit einer hohen, zitternden Stimme sprechen ließ.

„Nein, sie war ziemlich friedlich. Obwohl es ein monstermäßig großes Vieh war.“ antwortete der Fremde „Sie sprach davon, irgendwie - ‚Ich soll das Auryn wieder vereinen‘ - oder so. Und dann hat sich mich gehen lassen.“ Bastian versuchte in diesen Worten einen Sinn zu erkennen. Es schien irgendwie zu stimmen. Aber noch waren es soviele Puzzleteile, die alle keinen Sinn ergaben. Er merkte, das er sich an alles, was vor dem Zusammentreffen mit den halbwilden Kindern passierte, gut erinnern konnte. Bastian griff sich ein Messer, befreite den Fremden von seinen Fesseln und ließ ihn vom Pferd absteigen.

„Geh wohin du willst. Aber komm diesem Land in nächster Zeit nicht zu nahe. Irgendwas stimmt hier nicht.“sagte Bastian. Den letzten Satz hatte er nur sehr leise gesprochen. Der Fremde hatte ihn aber trotzdem verstanden. Bevor er gehen konnte, kam leiser Protest von Seiten der kindlichen Jäger. Bastian ignorierte das Gemurmel und sagte nur „Lasst ihn jetzt gehen!“ Es war das Beste was Bastian tun konnte. Doch das konnte er ja jetzt noch nicht ahnen.

Der Fremde konnte kaum fassen, welche Wendung sein Schicksal genommen hatte. Die ersten Meter ging er rückwärts, weil er fürchtete, erneut gefangen und dann getötet zu werden. Als er glaubte weit genug zu sein, rannte er so schnell er konnte davon.

Bastian atmete auf, als der Fremde endlich verschwunden war. Er hatte von den Kindern eigentlich mehr Gegenwehr erwartet. Aber offenbar akzeptierten sie seine Entscheidungen. Selbst Pascal sagte nichts. Trotzdem waren die Kinder merkwürdig unruhig. Etwas hatte sie aus dem Rhythmus gebracht. Bastian begutachtete die Jagdbeute. Die Jäger hatten drei Kaninchen zur Strecke gebracht. Und einen Beutel mit Erdfrüchten gesammelt. Zusammen mit den drei Fischen von Annika und Bastian würde es wohl reichen, um keinen Hunger zu leiden. Doch alle Tätigkeiten des Tages zogen sich in die Länge. Ihre Unruhe ließ die Kinder unkonzentriert und fahrig werden, so das einige Sachen nicht recht gelingen wollten. Selbst das Feueranzünden wurde zum Problem. Diese Unruhe übertrug sich schließlich auch auf Bastian. Er hatte, spätestens seitdem die Jäger zurückgekehrt waren, das unbestimmte Gefühl, das die Zeit stillzustehen schien und sich alles wiederholte. Später hatte er einen nahezu grandiosen Einfall. Er beschloss aufzuschreiben, was heute passiert war. Warum er diesen Einfall hatte, wusste Bastian selbst nicht. Wahrscheinlich kam da der Autor und Journalist in ihm durch. Es gab nur ein Problem. Im ganzen Lager fand sich nicht ein Blatt Papier. Und natürlich gab es auch keinen Stift oder dergleichen. Doch Bastian wusste sich zu helfen. Er griff sich aus der Feuerstelle einen durch und durch verkohlten Zweig und brach ihn so auseinander, das ein Ende eine Spitze bildete, mit der man malen konnte. Dann suchte er eine passende Malfläche. Bastian konnte ganz gut zeichnen. Aber er tat es recht selten und nur für sich. Wenn er seinen engsten Freunden manchmal seine Entwürfe zeigte, kämpfte er schon sehr mit seiner Verlegenheit. Dementsprechend schwer fiel es Bastian, sich für die einzige zur Verfügung stehende Fläche zu entscheiden. Die Zeltwand nämlich. Bastian begann zu skizzieren. Schlecht war nur, das man die Holzkohle auf der Plane nicht radieren konnte. Bastian zeichnete ein Pferd mit einem Reiter, der die Arme auf dem Rücken hielt, drei Hasen und drei Fische. Es gelang ihm ganz gut und es machte ihm mit der Zeit sogar richtig Spaß. Zum Schluß signierte er sein Werk mit den obligatorischen drei B‘s und da er das genaue Datum nicht wusste schrieb er schmunzelnd ‚Heute‘ darunter.

„Nicht schlecht.“ sagte plötzlich jemand. Bastian drehte sich um. Er hatte nicht bemerkt, das Dirk ihn die ganze Zeit beobachtete. Erstaunlich, das der schweigsame Dirk überhaupt seine Meinung abgab. Aber nachdem er Bastian einen anerkennenden Blick zugeworfen hatte, ging er auch schon wieder. Bastian betrachtete sein Werk. Ja, so übel war es nicht. Hauptsache, das nicht irgendein Neidhammel sein Kunstwerk heimlich verschmierte. Er sah skeptisch zum Himmel. Es bezog sich immer mehr. Möglicherweise würde es bald regnen.

An diesem Tag passierte nichts bedeutsames mehr. Die drei Kaninchen landeten ebenso wie Fisch und Gemüse in den hungrigen Mägen der Kinder. Auch Bastian langte kräftig zu. Doch es herrschte eine merkwürdige Stimmung. Die Lässigkeit der kindlichen Jäger war komplett verschwunden. Schließlich gingen sie schlafen. Was Bastian erneut nicht mitbekam, eines der Kinder blieb auf, um Wache zu halten.

Im Verlauf der Nacht hatte Bastian einen sehr merkwürdigen Traum – beinahe ein Albtraum. Er sah den verschwundenen Leo wieder. War es Leo? Dessen Gesicht war in Bastians Erinnerung schon sehr verblasst. Doch plötzlich begriff er, warum er Leo so sehr vermisste. In Leo erkannte Bastian den jungen Atréju wieder! Und Leo war fort und wahrscheinlich jetzt genauso fern wie Bastians eigene Kindheit.

Er sah Leo durch einen finsteren, unheimlich wirkenden Wald stolpern. Leo war mehr am Klettern als am Gehen. Der Untergrund bestand aus schroffem Felsgestein. Ab und zu gab es Spalten und Abgründe. Wer dort hineinfiel war für immer verloren. Es war unklar, was Leo suchte. Bald kam er auf einen Höhleneingang zu. Die Öffnung war riesig groß, wie das Portal eines Straßentunnels und wirkte im Schummerlicht wie das weit geöffnete Maul eines Raubtieres. Leo ging hinein. Irgendeine magische Kraft trieb ihn an. Obwohl Leo keine Fackel bei sich trug und bald völlig blind durch die Dunkelheit tappste. Es kam, was kommen musste: Leo fiel in ein Loch hinein. Er fiel ungewöhnlich langsam und lange. Leo‘s Angstschrei ging Bastian bis ins Mark. Mit einem dumpfen, metallischen Poltern schlug Leo auf dem Boden eines winzigen, hell erleuchteten, kreisrunden Raumes auf. An den Wänden befanden sich Unmengen Messgeräte. Auch Bildschirme waren darunter, die völlig unverständliche Dinge anzeigten. Mit einem gequälten Stöhnen richtete sich Leo wieder auf. Kurz darauf ertönte eine sanfte, synthetische Frauenstimme.

„Herzlich willkommen in ihrer Rückkehrkapsel. Bitte wählen sie ihr Fluchtziel.“

„He? Wo bin ich überhaupt?!“ schrie Leo, als ob die Computerstimme ihm die Antwort schuldig wäre.

„Bitte wählen sie ihr Fluchtziel...“ wiederholte die Stimme aus dem Off.

„Ich – ich... was ist das?“ schrie Leo verzweifelt. Doch Bastian konnte nicht helfen. In diesem Traum hatte er nur die Rolle des Beobachters.

„Bitte wählen sie ihr Fluchtziel...“

„Ich will nirgendwohin! Ich will hier raus!!“ Leo hämmerte verzweifelt gegen die Wände des Gebildes.

„Übernehme ihre Voreinstellung. Beginne Startsequenz. Verlassen des Ereignishorizonts in zehn Sekunden. Danke das sie eine Rückkehrkapsel von Zeus benutzen.“ säuselte die Computerstimme.

„Was? Nein!“ Leo gab seinen Widerstand auf und ließ sich zu Boden sinken. Bastian merkte, das Leo den Tränen nahe war. Der Ärmste musste wohl gerade Todesängste ausstehen.

„Ich will hier raus! Was soll das?“ jammerte Leo kläglich „Hilfe. Was passiert mit mir?“ und ein letztes Mal so laut er konnte „Hilfe! Ist hier denn keiner!?“

„Sauerstoffverbrauch zu hoch. Reduziere Innentemperatur.“ teilte die synthetische Stimme mit. Leo  ließ sich auf den Boden gleiten. Sein gekrümmter Körper zuckte noch eine ganze Weile, schließlich lag er reglos da. Mit einer gewaltigen Explosion wurde das Gefährt durch den Fels gesprengt.

In diesem Augenblick erwachte Bastian und schlug erschrocken die Augen auf. Draußen tobte ein mächtiges Gewitter. Er merkte, das er am ganzen Körper wie irre schwitzte. Oh Gott – war das ein fürchterlicher Traum gewesen! War Leo nun tot oder in einer anderen Welt? Bastian grübelte über den Traum nach. War Leo in Sicherheit? Es konnte doch sein, das sich Bastian keine Sorgen mehr machen sollte. Trotzdem – dieser Traum war schon reichlich bizarr. Er schlug ein wenig die Decke zurück, um Abkühlung zu bekommen. Bald dämmerte er wieder weg.

 

Bastian erwachte als eines der Kinder das Zelt verließ. Als es hinausging, erkannte er das es Dirk war. Auch Bastian streckte die verschlafenen Glieder und erhob sich. Draußen war es hell aber bedeckt und etwas kühl. Alles war triefend nass vom Gewitter letzte Nacht. Die Aussicht, sich in dem  eiskalten Bach zu waschen, kostete ihn etwas Überwindung.

Ein neuer Tag begann. Ein ‚Neuer‘? Da in jeder Nacht bei den Kindern – und inzwischen auch bei Bastian – die Erinnerung an den Vortag bis zur Unkenntlichkeit verblasste, hatte Bastian auch sämtliche Dinge, die ihm merkwürdig vorgekommen waren, vergessen. Sie erlebten jeden Tag, als wäre es ein Neuer – obwohl er sich ständig nur wiederholte. Und Bastians Chancen das jemals herauszufinden standen sehr schlecht. Mit jedem weiteren Tag bei den Kindlichen Jägern würde er ihnen immer ähnlicher werden.

Der Bach war durch den nächtlichen Regen angeschwollen. So machte es noch mehr Spaß in dem schnellfließenden, aber harmlosen Gewässer herumzuplanschen. Anschließend wurde beraten, was zu tun sei. Es gab nichts mehr zu essen. So beschlossen sie, zu sechst auf die Jagd zu gehen. Bastian und Annika blieben im Lager zurück. Die beiden räumten ein wenig auf und säuberten die Feuerstelle. In der Asche fand Bastian Unmengen an abgenagten Kaninchenknochen. Wer mochte die alle dort hineingeworfen haben? Er buddelte ein Loch und schob sämtliche Überreste hinein.

„Laß uns auch losgehen. Keine Ahnung was die heute jagen, aber wenn es zuwenig ist, dann sollten wir vielleicht ein paar Fische fangen gehen.“ schlug Annika vor.

„Und wer passt auf das Lager auf?“ entgegnete Bastian.

„Eigentlich sind wir immer in der Nähe. Aber wie du willst. Ich kann auch alleine gehen.“

„Nein, niemand vo uns sollte allein irgendwohin gehen. Wenn dir was passiert?!“ entdeckte Bastian plötzlich seine fürsorgliche Ader.

„Wenn mir was passiert? Was denn? Ich komme auch sehr gut alleine klar! Und außerdem bin ich kein hilfloses Kind mehr. Meinetwegen kannst du ruhig hierbleiben.“ sagte Annika ernst. Bastian stöhnte leise. „Dann geh. Ich werde hierbleiben. Ich kann ja ein bißchen Holz sammeln, da mach‘ ich wenigstens nicht soviel falsch...“

„Ist es das, Bastian? Weil du nicht weißt wie man Fische fängt?“

„Nein!“ versetzte Bastian unwirsch.

„Denk‘ dran, wir brauchen auch kleine, trockene Zweige. Sonst kriegen wir das Feuer nicht an.“

„Ja! Ich weiß!“ Er war genervt.

Annika nahm sich einen Speer und ging fischen. Wenn ihr wirklich etwas passiert wäre, Bastian hätte ihr nicht helfen können. Denn er hatte den Weg zu dem fischreichen Fluss bereits vergessen. Warum Annika den Weg wusste und nicht vergaß? Diese Frage wird dir schon bald beantwortet werden.

Endlich hatte Bastian genug Zeit allein das Lager zu erkunden. Besonders interessierte ihn die kleine Lehmhütte, die etwas abseits vom Zelt stand. Seine Neugier, dort einmal hineinzusehen, wich schnell der Enttäuschung. Die Hütte war mehr eine Art Stall für die Pferde. Es lag jede Menge Heu darin. Vielleicht war es mal eine Art Vorratsraum gewesen. Doch es gab nicht den kleinsten Vorrat  zu entdecken. Dafür fand er eine Art Werkstatt, in der wohl die primitiven Waffen der Kinder hergestellt und repariert wurden. Bastian fand ein paar Pfeilspitzen. Ein sehr alter Bogen hing an der Wand. Bastian nahm ihn und wischte die dicke Staubschicht ab. Warum benutzte ihn niemand? Bastian versuchte den Bogen zu spannen. Es ging unglaublich schwer. Er versuchte es mit aller Kraft – bis der Bogen urplötzlich zerbrach. Bastian erschrak und ließ die Trümmer in der hintersten Ecke des Raumes verschwinden. Er hatte genug gesehen. Nun wollte er seiner Aufgabe nachkommen und Holz sammeln.

Er hatte schon einen beachtlichen Haufen zusammengetragen, als er beim herumstreifen eine sagenhafte Entdeckung machte. Er stand wie erstarrt neben dem Zelt – und betrachtete seine gestrige Zeichnung. Das Gewitter hatte sie ein wenig verwischt. Aber man konnte deutlich erkennen was die einzelnen Dinge darstellen sollten. Bastian erkannte sein Signum, die drei ‚B‘ und darunter stand ‚Heute‘. Die Zeichnung stammte unzweifelhaft von ihm. Er hatte sie NICHT heute gemacht – doch wann dann? Er erkannte ein Pferd, dessen Reiter die Hände auf dem Rücken hielt. War er etwa gefesselt? Außerdem war eine Feuerstelle aufgezeichnet. Darunter sah man drei auf dem Rücken liegende, offenbar tote Hasen oder Kaninchen und drei Fische. Bastian überlegte und überlegte. Er hatte das Gefühl in seinem Kopf befände sich grauer Dunst, den er verzweifelt umrührte und der doch nichts von dem freigab, was er möglicherweise verdeckte. Stattdessen kam ihm immer wieder das Bild vom reglosen Leo vor Augen, der in einer Art Raumkapsel in die Luft gesprengt wurde. Stand er vor etwas Bedeutsamen? Warum hatte er diese Dinge gezeichnet? Was wollte er damit ausdrücken? Wollte Bastian sich selbst damit etwas sagen? Er starrte immer wieder auf die Zeichnung. „BBB“, „Heute“ und die Bilder. War es so etwas wie eine Prophezeiung? Doch woher besaß er dafür die Begabung? War dieses Bild eine Beschreibung von etwas, was bereits geschehen war? Gab es vielleicht sogar einen Zusammenhang zwischen dem Bild und seinem lückenhaften Erinnerungsvermögen? Bastian kam zu dem Schluß, das es etwas sein musste, was schon passiert war. Doch die Erinnerung daran wollte beim besten Willen nicht zurückkommen. Bastian löste sich schließlich von dem Bild. Wie benebelt trottete er weiter. Beinahe hätte er sogar den Holzstoß, den er gesammelt hatte, neben dem Zelt liegengelassen. Erst als er bereits ging, fiel ihm ein, das er ja beim Holzsammeln gewesen war. Er hob das Bündel auf und warf alles auf den Haufen neben der Feuerstelle. Bastian schlurfte gedankenverloren durch das feuchte Gras. Die Sonne war zwar ein paar mal durch die dicken Wolken geschienen. Aber jetzt zog es sich wieder zu. Hoffentlich fing es nicht wieder an zu regnen...

„Bastian? Was ist? Ist irgendwas passiert?“ Annika war zurückgekehrt. Bastian drehte sich um und blickte direkt in Annikas freundliches Gesicht. Er blickte an ihr herunter. In der linken Hand trug sie den Speer und in der Rechten einen blanken, angespitzten Zweig, mit dem sie drei Fische am Schwanzende durchbohrt hatte, um sie besser tragen zu können.

„Drei!“ sagte Bastian nur und starrte auf die Fische.

„Was?“ fragte Annika verblüfft.

„Es sind drei!“ wiederholte Bastian.

„Wieso? Mehr habe ich nicht gekriegt. Reicht doch auch, oder?“ sagte Annika etwas verlegen.

„Nein, das ist es nicht. Komm mit, ich zeig dir mal was.“ Bastian drehte sich um und ging schnellen Schrittes zum Zelt. Das Mädchen folgte ihm kopfschüttelnd. Vor der Zeichnung blieben beide stehen.

„Oh, schön.“ sagte Annika „Ich wusste gar nicht, das du so gut zeichnen kannst. Hast du das eben gerade gemacht?“ Bastian knurrte: „Nein! Das ist es ja gerade. Guck‘ dir alles genau an. Wo hast du die Fische?“ Das Mädchen hielt ihren Fang hoch. „Drei!“ sagte Bastian, deutete mit dem Kopf auf die Jadgbeute und mit dem Daumen auf die Zeichnung. „Auch drei.“ stellte das Mädchen nüchtern fest. „Wann hast du das denn nun gemalt, wenn nicht eben gerade?“

„Das versuche ich dir ja zu erklären. Ich weiß es nämlich nicht!“ antwortete Bastian.

„Wie? Bastian, du spinnst.“

„Quatsch, wie erklärst du dir die drei Fische hier?“

„Zufall.“

„Zufall? Und was ist, wenn die anderen drei Kaninchen mitbringen? Und einen Gefangenen?“

„Bastian, nun übertreibst du aber wirklich. Wen sollten die denn als Gefangenen mitbringen? Was soll das?“ entgegnete Annika skeptisch.

„Was war gestern?“ fragte Bastian leicht gehässig.

„Gestern. Was gestern war interessiert mich nicht mehr. Und was heute ist, war schon immer so. Und es wird auch morgen...“

„...noch so sein. Ich weiß.“ beendete Bastian den Satz. „Du machst dir ja noch nicht einmal die Mühe dich zu erinnern.“

Das Mädchen sah ihn daraufhin schweigend an. Es war nicht ihr sonst üblicher freundlicher Blick. Nein, Bastian fühlte, das Annika versuchte tief in ihn hineinzusehen. Schließlich drehte sie sich um und ging. „Annika!?“ rief Bastian ihr hinterher „Du musst mir glauben! Vielleicht erleben wir jeden Tag dasselbe und wir kriegen das noch nicht mal mit. Weil sich keiner von uns mehr erinnern kann. Glaube ich jedenfalls.“ sagte Bastian, den letzten Satz schon leicht verunsichert, um schließlich laut zu fluchen „In was für einer Scheiße bin ich hier überhaupt gelandet?“

„Glaub doch was du willst.“ rief Annika aus einiger Entfernung. Bastian musste das Thema wechseln. Er wollte das Mädchen nicht komplett verärgern. In Wirklichkeit nahm Annika Bastians Theorien viel gelassener als er dachte.

„Kann ich dir helfen?“ fragte er. Doch sie ließ sich nicht beirren und ging zum Bach zurück. Bastian folgte ihr. Er kam sich ziemlich dämlich vor. Doch was sollte er sonst machen. Es gab gerade nichts anderes zu tun und zum alleinsein hatte er keine Lust. Während Annika mit geübten Griff ihrem Fang die Köpfe abschnitt und die Innereien herausnahm, stand Bastian abseits und stierte auf die Wasseroberfläche. Ein wilder Schrei ließ die beiden aufhorchen. Die Jäger mussten zurückgekehrt sein. „Hier!“ schrie Bastian, bevor er die Bachböschung hinaufkletterte. Das Bild, das sich ihm bot, entlockte ihm einen Ausruf des Erstaunens. Es waren die beiden Reiter. Und sie waren nicht allein. Auf dem Rücken des einen Reittieres saß ein fremder Erwachsener. Noah führte das Pferd am Zügel und ging zu Fuß nebenher. Schließlich stoppten die beiden vor Bastian. Dieser musterte den Fremden. Irgendwie kam der ihm merkwürdig bekannt vor. Bastian bemerkte sofort, das dem die Hände auf den Rücken gebunden waren.

„Wieso habt ihr ihn gefesselt?“ wollte Bastian wissen. „Weil es ein Arschloch ist.“ entgegnete Ibo. „Er würde uns am liebsten alle umbringen.“ ergänzte Noah. „Hat er das gesagt?“ fragte Bastian. „So  ähnlich.“ antwortete Noah.

Bastian sah dem Fremden ins Gesicht und erschauerte. Der Blick dieses Mannes war voller Haß und einem unglaublich starken Selbstbewusstsein. Bastian konnte dessem Blick nicht lange standhalten. Der Fremde war schlank und hatte einen muskulösen Körper. Er trug eine merkwürdig martialische Kleidung, die das was die Kinder trugen noch weit übertraf. Und ihn schien die Situation, in der er sich befand, nicht im geringsten zu interessieren. In diesem Augenblick kamen auch die anderen Kindlichen Jäger zurück. Das sie heute drei Kaninchen erbeutet hatten und sich darüber wirklich freuten, bekam Bastian zunächst nicht mit. Die Gruppe umringte das Pferd, auf dem der Fremde saß, hielt aber respektvollen Abstand.

„Wieso habt ihr ihn hergebracht? Wer soll das sein?“ fragte Bastian. Jemand murmelte „Wir hätten ihn gleich in die Schlucht werfen sollen.“ Schließlich ergriff Pascal das Wort: „Es ist einer von denen ich dir erzählt habe.“ Bastian blickte Pascal erstaunt an. Was meinte er? Daraufhin ergänzte Pascal „Es ist eine Kampfmaschine. Seine größte Erfüllung ist es zu töten.“

„Was?“ rief Bastian ungläubig aus. Und plötzlich begannen die Kinder alle durcheinander zu reden. „Das ist doch nicht das erste mal!“ „Entweder ER stirbt, oder WIR sterben!“ „Lass ihn auf keinen Fall weiterleben!“ „Schneid‘ ihm die Kehle durch! Wenn du nicht willst, mach‘s ich...“ Pascal gebot Ruhe. „Er ist ein Produkt der Phantasie der Gewalt. Wir wissen nicht, ob er ein Mensch ist. Aber er wurde von Menschen erdacht. Irgendjemand wird schon dahinterstecken. Bloß, es ist nicht das erste Mal, das wir solchen Typen begegnen. Solche Leute haben schon einige von uns auf dem Gewissen. Ich habe keine Ahnung, warum die das tun und welche Befriedigung sie dabei haben. Aber es gibt sie eben. Und wir müssen uns damit herumschlagen. Aber ich hab dir das doch alles erzählt?“ endete Pascal. Bastian schüttelte den Kopf  „Nein. Aber ich hätte nie gedacht, das auch solche Leute nach Phantásien gelangen können.“

„Wieso vergisst jeder immer alles was ich sage?“ Pascal wurde zornig. „Du darfst nie vergessen: Phantásien ist das Reich der Phantasie ALLER Menschen. Es ist nicht unbedingt so, das jeder sein eigenes Phantásien besitzt. Es kommt oft vor, das sich Träume und Wünsche verschiedener Menschen gegenseitig durchdringen. Deshalb können hier ja auch Dinge passieren, die du dir beim besten Willen nicht vorstellen kannst, wenn du sie nicht selbst erlebt hast.“

„Woher weisst du denn das alles?“ fragte Bastian.

„Willst du auch noch in Frage stellen, was ich selbst erlebt habe?!“ schrie Pascal zurück. Bastian hatte Pascal noch nie so außer sich erlebt. Es war, als schien die negative Energie des Fremden auf ihn überzuspringen. Der Fremde fing überheblich an zu grinsen. Ansonsten zeigte er kaum eine Reaktion. Bis jetzt hatte er noch kein Wort gesprochen. Doch an seiner Mimik konnte man ablesen, wie stark er die, die ihn gefangengenommen hatten, verachtete. Bastian war in diesem Augenblick innerlich zerrissen wie selten zuvor. Er musste Pascal die Zeichnung zeigen. Bis jetzt war alles so eingetreten, wie auf der Zeltplane aufgemalt. Was sollte Bastian nun tun? Er hatte das Gefühl in einen ständigen Kreislauf geraten zu sein. Nur, wie man sich daraus befreien sollte war ihm schleierhaft. Dazu kam, das er sich dem Gefangenen mental unterlegen fühlte. Emotional stimmte er den Kindlichen Jägern zu, die den Fremden am liebsten sofort in seine Welt zurückschicken wollten. Auf der anderen Seite meldete sich sein Gewissen, das es ein großer Fehler wäre, den Tod eines Menschen einfach so zuzulassen.

„Ihr dürft ihn nicht in die Schlucht werfen.“ brach es aus Bastian heraus.

„Was? Bist du völlig irre?“ Augenblicklich verstummte das Gemurmel. Bastian fuhr fort: „War es nicht so, das JEDER in Phantásien willkommen ist? Wenn ihr jeden, der neu hier ankommt, sofort wieder in die Menschwelt zurückschickt, dann macht ihr noch ganz Phantásien kaputt!“ Alle sahen ihn an. Bastian war selbst erschrocken. Vor allem über seinen Mut vage Vermutungen so laut herauszuschreien. Er fühlte das er eine innere Barriere durchbrochen hatte. Bastian drehte sich um und wandte sich dem Fremden zu. „Wer bist du überhaupt?“ herrschte er ihn an. Noch hatte Bastian Hoffnung von diesem selbst zu erfahren, warum die Kinder auf ihn so aufgebracht reagierten.

„Bist du hier der Obermacker?“ kam stattdessen eine Gegenfrage. Bastian war verblüfft und zugleich bestätigte sich seine Verunsicherung. Der Fremde befand sich in einer für ihn ausweglosen Situation. Und doch zeigte er keine Furcht. Selbst im wehrlosen Zustand flößte er der Gruppe Angst ein. Aber Bastian hatte sich entschieden. Die Kindlichen Jäger durften keine weitere Chance bekommen, zum Richter über Sein oder Nichtsein zu werden. Egal wie gut und edel oder schlecht und gemein das Opfer war, was ihnen in die Hände fiel. Bastian griff sich ein Messer und schickte sich an die Fesseln des Fremden zu lösen.

„Wenn du mich losmachst, haue ich dir erstmal ein paar in die Fresse.“ Bastian ignorierte die Warnung. Kaum hatte er den Strick durchgeschnitten, spürte er einen harten Schlag gegen den Unterkiefer, hörte einen lauten Knall und vor seinen Augen tanzten kurz rote und grüne Blitze. Überrumpelt wankte Bastian einen Meter zurück. Der Fremde ließ sich geschmeidig vom Pferd gleiten, baute sich vor den Kindern auf und fragte: „Will noch jemand?“ Einen kurzen Moment waren alle wie erstarrt. Dann atmete Noah tief durch, ging auf den Fremden zu, packte ihn am Arm und zwang ihn zu Boden. Es musste irgendein Judogriff sein, war sich Bastian sicher. Der Fremde hatte nicht damit gerechnet, doch er wusste zu kämpfen. Der Kindliche Jäger behielt die Oberhand, aber einfach war es nicht. Schließlich hatte Noah den Fremden in einen Haltegriff gezwungen, der diesen fast wehrlos machte. Der Junge griff sich sein langes Jagdmesser und hielt es dem Fremden an den Hals, während er süffisant fragte: „Soll ich dir die Kehle durchschneiden? Tut nicht weh und dauert nur eine halbe Sekunde.“ Statt einer Antwort stieß der Fremde einen Haufen wüster Beschimpfungen und Verwünschungen aus.

„Schluß! Das reicht jetzt.“ ergriff Pascal plötzlich das Wort. „Bastian will das du unbedingt weiterlebst. Ich kann ihn zwar nicht verstehen, aber meinetwegen soll es so sein.“ Und an Noah gewandt „Hat er Waffen, oder sowas?“ Noah verneinte.

„Laß ihn los.“ wieß Pascal seinen Kameraden an. Der hatte längst von seinem Opfer abgelassen, als dieses sich stöhnend erhob. Die scharfe Klinge von Noahs Messer hatte eine kleine Wunde am Hals des Fremden versursacht, aus der ein wenig Blut lief. Bastian bemerkte wieder diesen Blick in den Augen des Fremden, so, als wenn ein Raubtier seine Beute taxiert.

„Du verschwindest jetzt.“ fuhr Pascal zu dem Fremden gerichtet fort „Und versuche nicht zurückzukommen. Einer von uns wird dir folgen. Solltest du zurückkommen wird er uns deinen Kopf bringen. - Geh jetzt!“ Der Fremde drehte sich tatsächlich um und trottete ohne Eile davon. Als er außer Hörweite war, wandte sich Pascal an Noah: „Du passt auf, das er wirklich abhaut. Ich denke, länger als zwei Tage wirst du nicht brauchen. Wenn ihm irgendwas passiert, mach‘ nichts! Ansonsten...“ Pascal deutete mit dem Kopf eine Aufwärtsbewegung Richtung Himmel an.

„Ich weiß was zu tun ist.“ antwortete Noah und machte sich auf den Weg, der Spur des Fremden zu folgen.

„Bist du nun zufrieden?“ sagte Pascal etwas laut in Bastians Richtung. Doch der schluckte nur und zog es vor zu Schweigen. In diesem Augenblick ging ihm noch ein ganz anderer Gedanke durch den Kopf. Wenn Noah über Nacht wegblieb, würde er dann jemals wieder zurückkehren? Und ihm fiel ein, an wen ihn der Fremde erinnerte. Erstaunt sagte er laut „Mein Agent...“ „Was hast du?“ fragte Pascal irritiert. „Euer Gefangener – hatte Ähnlichkeit mit meinem Manager!“ Pascal sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an, bis er sich einen Reim darauf machen konnte und leise schmunzelte: „Das zeigt, das sind alles Verbrecher.“ Bastian sah die heutige Jadgbeute. Es überraschte ihn nicht, das es drei Kaninchen waren.

„Habt ihr noch was anderes gefangen?“ fragte Bastian um sicher zu gehen.

„Nein.“

„Ich hab‘s geahnt...“ murmelte Bastian.

„Wieso? Ist dir das zu wenig?“

„Nein – nein! Es ist etwas anderes. Irgendwie habe ich alles vorausgesehen.“ sagte Bastian und erntete erstaunte Blicke „Es gibt da etwas, was ihr unbedingt sehen müsst. Das erklärt hoffentlich einiges.“ Bastian ging zur Zeltwand und einige der Kindlichen Jäger folgten ihm. Mit einer Mischung aus Staunen, Mißmut und Bewunderung betrachteten sie Bastians Kunstwerk. Sie konnten damit allerdings nicht so recht etwas anfangen.

„Und?“ fragte Pascal.

„Ich hab‘s gezeichnet. Aber ich weiß nicht mehr wann. Auf jeden Fall nicht heute. Und es ist alles so eingetreten wie hier gezeichnet.“ Nach kurzem Schweigen fragte Pascal: „Bastian, hast du oder Annika heute drei Fische gefangen?“ Bastian bejahte. „Wenn das so ist – und wenn du dieses Bild wirklich nicht heute gezeichnet hast, obwohl da ‚heute‘ untersteht – dann bedeutet das vielleicht, das sich unsere Tage ständig wiederholen und immer gleich sind.“ stellte Pascal fest und es war zu spüren, das ihm das unheimlich vorkam. „Eben.“ kommentierte Bastian Pascals Erkenntnis.

„Aber wieso?“ fragte Pascal.

„Das versuche ich auch herauszufinden. Ich weiß es nicht.“

„Wie kann das sein? Wieso merken wir das nicht?“

„Na, dann versucht doch mal, euch an gestern zu erinnern.“ schlug Bastian vor. Er erwartete keine überraschenden Schilderungen. Wie gehabt, konnte sich niemand erinnern. Nur Pascal fiel ein wenig auf. „Sah der Himmel nicht mal anders aus? Rot oder golden, oder so?“ Er schwieg, als würde er nachdenken. „Wie bin ich hier eigentlich hergekommen?“ Es schien das erste Mal zu sein, das Pascal sich dies fragte. „Du warst doch schon immer bei uns.“ merkte Samir verwundert an. Doch genau das bewog Bastian zu der Vermutung, das es mit Pascal noch eine andere Bewandtnis haben musste. Etwas unterschied ihn von den anderen Kindlichen Jägern. Damit war die Betrachtung von Bastians Zeichnung abgeschlossen. Das Leben im Lager nahm seinen Fortgang. Doch Bastian spürte immer mehr, das er in einem ständigen Kreislauf gefangen war. Je mehr er darüber nachdachte – und vor allem wo dieser anfangen und wo enden würde – desto mehr kam er zu dem Schluß, das er hier nicht bleiben durfte. Denn solange er noch mitbekam, das hier etwas nicht stimmte, konnte er sich möglicherweise noch davon befreien. Bei den anderen – von Pascal mal abgesehen – schien es bereits zu spät zu sein.

Die Jagdbeute wurde aufgeteilt und zubereitet. Wieder versammelten sich alle, um gemeinsam zu essen. Bastian kaute gedankenverloren auf seinem Stück Kaninchenfleisch herum.

„Bastian, was ist? Schmeckt es dir nicht?“ Es war Annika. „Doch.“ antwortete er und atmete tief durch. Da Bastian sich kaum mit seinem Essen beschäftigte, ließ sich schließlich der struppige Hund der Jäger bei ihm nieder. In der Hofnung, den einen oder anderen Bissen zu erbetteln. Noch bevor alles aufgegessen war stand Bastian auf. Er wollte alleinsein und suchte ein ruhiges Plätzchen zum Nachdenken. Bastian verließ den Lagerplatz, ging ein Stück durch den angrenzenden Wald und kam zu einer Hügelkuppe, von der man die sanft abfallenden Hänge und ein ganzes Stück der daran anschließenden Wiesen überblicken konnte. Er ließ sich im noch etwas feuchten, hohen Gras nieder. Die Vögel sangen und der schwach wehende Wind erzeugte ein leises Zischeln wenn er über die Grashalme strich. Sonst war kein anderer Laut zu hören. Ein leises Tapsen kam näher. Zoffi war ihm gefolgt und legte sich ein Stück abseits neben Bastian nieder.

„Ich hab‘ nichts mehr für dich, hm?“ sagte Bastian und rückte ein Stück näher, um dem Tier das zottelige Fell zu kraulen. Zoffi ließ sich das gern gefallen. Bastian lauschte wieder der Natur. Die Strahlen der untergehenden Sonne wärmten ihm den Rücken. ‚Endlich hat Phantásien mal wieder was angenehmes zu bieten.‘ dachte Bastian bei sich. Und weil er sich allein glaubte, sagte er schließlich mehr zu sich selbst, aber immerhin laut: „Irgendetwas läuft hier schief. Ich hab das Gefühl, das hier alles ständig im Kreis läuft.“ während er weiterhin Zoffis Fell kraulte. Der Hund würde ihm keine Antwort geben können.

„Du irrst dich nicht, Bastian.“ sagte eine etwas rauhe Stimme. Der Angesprochene fuhr irritiert herum. War da noch jemand? Doch außer Bastian war da nur noch Zoffi, der zottige Köter.

„Du kannst sprechen?“ fragte Bastian verwundert.

„Ich spreche nicht anders als vorher. Nämlich phantásisch. Aber scheinbar hast du soeben deine Fähigkeit unsere Sprache zu verstehen zurückgewonnen. Herzlichen Glückwunsch!“ Ein zu Zynismus fähiger Hund, das war ja allerhand!

„Ich irre mich also nicht, so so.“ versuchte Bastian an den Anfang anzuknüpfen.

„Um ehrlich zu sein, ich habe mir unseren Retter etwas anders vorgestellt.“ fuhr Zoffi fort „Und falls du es genau wissen willst: Ja, es sind phantásische Geschöpfe, deren Geschichte stehengeblieben ist und die nur darauf warten endlich befreit zu werden.“

„Ich dachte es sind Menschen?“ Bastian war verblüfft „Und wie soll ausgerechnet ich das bitteschön tun?“

„Nun Bastian, du bist schon recht weit gekommen. Weiter als dein Vorgänger. Wenn du nicht die Zeichnung an das Zelt gemalt hättest, wäre es dir bald genauso ergangen wie Pascal, in den wir alle sehr große Hoffnungen gesetzt hatten.“

„Pascal? Pascal ist der einzige Mensch in der Gruppe? Dann ist es wohl SEINE Geschichte.“ sinnierte Bastian. Argos bestätigte das. „Und wer ist ‚wir‘?“ wollte Bastian wissen. „Du musst wissen Bastian, das ich den Kindlichen Jägern nicht einfach so zugelaufen bin, wie sie glauben. Ich wurde auf allerhöchste Order hierhergeschickt. Aber viel kann ich nicht tun. Ich bin nur ein Hund und mir bleibt nicht viel mehr übrig als Schadensbegrenzung.“ sagte Zoffi etwas betrübt.

„Mensch Zoffi, das hätte ich dir gar nicht zugetraut. Dich schickt wirklich die Kindliche Kaiserin?“ Zoffi knurrte böse. „Und nenn‘ mich nicht Zoffi! Den Namen haben mir die Kindlichen Jäger gegeben, weil sie nicht mehr in der Lage sind mich zu verstehen. Das ist es doch, was mir das Leben so schwer macht. Mein wahrer Name ist Argos. Und bitte nenn‘ mich in Zukunft so. Zoffi klingt so fürchterlich nach einem proletarischen Mistvieh aus der Menschenwelt.“

„Argos?! Das klingt als ob du studiert hättest. Ein Hund mit akademischen Abschluß. Soll ich vielleicht nicht lieber Dr. Argos sagen?“ witzelte Bastian herum. Ihm kam es reichlich unglaublich vor, was der Hund ihm zu sagen hatte. Doch Argos war über diesen Kommentar sehr gekränkt.

„Ja Bastian, mach dich nur lustig. Du wirst schon sehen, was du davon hast. Phantásien ist sehr gefährlich. Und noch mehr für einen Erwachsenen wie dich, der die phantastischen Dinge kaum noch ernst nimmt. Und du hast nicht den Schutz des Auryns, vergiss das nie!“ Argos hatte den Glanz erwähnt. „Apropos Auryn! Was ist damit?“ fragte Bastian. „Ich bin nur ein Hund“ sagte Argos „und kann dir darauf keine Antwort geben. Doch ich hörte, das das Auryn nicht mehr existiert.“

„Was? Das würde das Ende von Phantásien bedeuten, oder?“

„Ich persönlich glaube das nicht.“ sagte Argos „Andere sagen, das Auryn hat sich geteilt. Aber das wäre auch das Ende.“ Eine Weile schwiegen beide. Bastian empfand die Unterhaltung mit Argos durchaus als angenehm. Ja ihm war sogar, als würde zusammen mit den Dingen die Argos sagte, eine belebende Energie in seinen Körper strömen, die seine Erinnerungsblockaden hinwegspülte. So kam es, das sich Bastian an sein Erlebnis mit der weißen Schlange erinnerte. Er war der Meinung das er Argos das nicht vorenthalten dürfte. Und ihm fiel selbst auf, das ihm wieder Erinnerungen ins Gedächtnis zurückkehrten, die er vor kurzem noch verzweifelt gesucht hatte. „Sag mal Argos, du kannst mir doch bestimmt sagen, was mit den Erinnerungen passiert wenn die eigene Geschichte stehenbleibt?“ fragte Bastian. „Du verlangst von mir, das ich dir das schlimmste erkläre, was einem phantásischen Wesen passieren kann? Die Phasen unseres eigenen Todes?“ fragte Argos zurück. „Ist es wirklich so schlimm? Aber wenn es dir nichts ausmacht? Es interessiert mich wirklich.“ gab Bastian zu verstehen. „Also gut, aber verzeih mir, das meine Antwort möglicherweise nicht erschöpfend ist.“ begann Argos. „Wenn eine Geschichte stehenbleibt ist sie eingetreten in die verschiedenen Phasen des Vergessens. Anfangs wiederholt sich die Geschichte in einem bestimmten, meist besonders markantem Abschnitt, das ist noch nicht so schlimm und da besteht noch Hoffnung. Später wird diese Stelle immer kleiner. Alle Wesen, die in diesem Kreislauf gefangen sind, können sich nur an das erinnern was sie während einer Wiederholung erlebt haben. Wenn sich der Kreis erneut wiederholt scheint alles neu zu passieren. Doch der Kreislauf der Wiederholung wird immer kleiner und kleiner und schließlich bleibt die Geschichte in einem einzigen Bild stehen. Dann ist es zu spät und die Geschichte ist verloren. Das ist der schlimmste Tod für ein phantásisches Geschöpf – vergessen zu werden.“ Argos war sichtlich traurig. Bastian ergriff das Wort „Und mit den Kindlichen Jägern ist es dann ja wohl genauso. Das ist ja ein echter Teufelskreis! Sie können sich nicht erinnern – und da sie nicht wissen das sich ihre Geschichte wiederholt, können sie auch nichts dagegen tun?“ Bastian erschrak selbst über diese Erkenntnis. „Ihr Zeitgedächtnis ist ausgelöscht. Aber die Wege die sie gingen, bevor die Geschichte stehenblieb, können sie nicht vergessen. Es liegt nur an den Menschen. In ihrer Macht steht es, ihre Geschichte fortzuführen. Doch wenn sie sich selbst verlieren, kommen sie auch nicht mehr aus ihrer Geschichte heraus. Sie enden dann genauso wie ihre phantásischen Wesen, die sie schufen – vergessen!“ Bastian schluckte. Er traute sich kaum den Teil ihrer Unterhaltung, wo sie über das Auryn sprachen, wieder aufzunehmen. „Ich bin übrigens einer riesigen, weißen Schlange begegnet.“ erzählte Bastian. „Und? Was willst du mir damit sagen?“ fragte Argos.

„Hm, ich weiß ja nicht, ob es noch mehr weiße Schlangen in Phantásien gibt. Aber vielleicht war es ja die eine aus dem Auryn?“

„Eine gewagte Vermutung. Wenn die Schlangen sich wirklich getrennt haben bedeutet das größte Gefahr für Phantásien! Und wenn du einer von ihnen begegnet bist, dann sei froh, das du noch am Leben bist. Vielleicht lag es daran, das es die Weiße war. Hat sie zu dir gesprochen?“

„Nein, aber sie hat mich mit ihrem Gift bespuckt.“

„Du konntest sie nicht verstehen.“ jaulte Argos traurig. „Hoffentlich hast du da keinen Fehler gemacht, Bastian.“ Nach einer Weile setzte er fort: „So ist das mit den Erwachsenen. Machen nur Probleme – und das größte sind sie selbst.“ Argos jaulte zur Bekräftigung laut auf.

„Nun hab‘ dich mal nicht so.“ gab Bastian zurück. Es wurde langsam dunkel. „Was muss ich eigentlich machen damit die Geschichte der Kindlichen Jäger endlich weitergeht?“ fiel Bastian zum Schluß noch ein.

„Das kann ich dir nicht sagen. Aber es heißt, das du davon träumen wirst.“ antwortete Argos.

„Oh je.“ versetzte Bastian „Davor habe ich jetzt schon Angst. Nicht schon wieder so ein Albtraum mit Leo.“

„Du hast Leo noch nicht vergessen? Das ist ein gutes Zeichen.“ sagte Argos.

„Was ist mit Leo?“

„Es hat damit zu tun, weil die Geschichte feststeckt, Bastian. Du hast Leos Platz eingenommen. Deshalb musste Leo gehen. Aber mein Instinkt sagt mir, das er weder tot noch lebendig, aber in Sicherheit ist.“ endete Argos. „Und bevor du gehst, kraul mich nochmal ordentlich zwischen den Vorderpfoten. Das kannst du nämlich wirklich gut.“

„Wo bleibst du eigentlich über Nacht?“ fragte Bastian erneut. „Kommst du nicht mit ins Lager?“

„Nein!“ sagte Argos „Wo ich die Nacht verbringe muss mein Geheimnis bleiben. Sonst bin ich nicht mehr davor geschützt, schließlich auch noch festzustecken. Also Bastian, wir sehen uns morgen.“

„Morgen? Wieso nicht heute? Wenn der Tag morgen wieder derselbe ist, dann ist er gar kein richtiger Morgen, sondern Morgen ist schon heute Heute.“ Bastian stutzte. Irgendwie hatte er da Müll erzählt. Da ein Hund nicht laut lacht, schwieg Argos dazu und bemerkte vieldeutig: „Das wird sich verändern. Glaub mir, Bastian.“

Bastian ging ins Lager zurück. Es war noch nicht völlig dunkel und alle kindlichen Jäger hatten sich am Lagerfeuer versammelt. Er hatte plötzlich wieder Hunger bekommen. Doch es war nichts übrig geblieben. Erst Morgen würde es wieder etwas zu essen geben.

„Warum jagen wir nicht mal was richtig Großes?“ versuchte Bastian vorzuschlagen.

„Gute Idee.“ versetzte Dirk „Und was und womit?“ Bastian winkte resignierend ab. So gut kam seine Idee scheinbar doch nicht an. Schließlich ging er ins Zelt und machte sich bereit zum Schlafen. Als er auf seinem Platz lag kamen ihm die Worte Argos wieder in den Sinn. Er würde davon träumen, wie er die Kindlichen Jäger aus ihrer feststeckenden Geschichte befreien könnte. Wie würde dieser Traum wohl aussehen? Träume ließen sich nicht erzwingen. Träume kamen einfach über einen und man musste froh sein, das es kein Albtraum war. Und noch etwas wusste Bastian nur allzugut. Träume gerieten schnell in Vergessenheit. - Vergessen. Ein wenig hatte er Angst einzuschlafen. Würde er wieder alles vergessen, während er schlief? Wie würde der morgige Tag verlaufen? Gab es überhaupt ein Morgen? Oder war Morgen nicht bloß wieder eine Kopie von heute? Er wünschte sich von ganzem Herzen dies zu ändern. Schon allein deshalb, um dieser festgefahrenen Geschichte endlich zu entkommen. Dabei schaffte er nicht mal in der Menschenwelt aus dem für ihn vorgetrampelten Weg auszubrechen. Bastian seufzte tief und sinnierte schließlich noch über leichtere, unwesentliche Dinge, was ihn wenig später einschlafen ließ.

Rainer - Hamburg

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